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Ein weltweites Phänomen

Die Diagnose und Behandlung von Krankheiten wie Lyme-Borreliose, Babesiose und Bartonellosen stehen seit Langem im Zentrum einer heftigen Kontroverse in der medizinischen und wissenschaftlichen Fachwelt. Diese Kontroverse, die seit über 30 Jahren andauert, dreht sich vor allem um die Wirksamkeit der Behandlungen und die Zuverlässigkeit der diagnostischen Tests dieser Krankheiten – insbesondere im Hinblick auf ihre chronische Form [1]. 

Die Kontroverse begann mit der Lyme-Borreliose und hat im Laufe der Jahre erheblich an Bedeutung gewonnen – so sehr, dass sie unter dem Begriff „Lyme Wars“ oder „Lyme-Kriege“ bekannt wurde. Der Begriff „Lyme-Kriege“ verdeutlicht die tiefe Kluft zwischen den Positionen verschiedener Expert:innen: Während einige überzeugt sind, dass die konventionellen Behandlungen ausreichen, sind andere der Ansicht, dass die chronische Form der Krankheit komplexere Ansätze und längere Therapien erfordert [2-3]. 

Dieser ideologische Konflikt spiegelt nicht nur Differenzen hinsichtlich medizinischer Protokolle wider, sondern beinhaltet auch die grundsätzliche Frage, ob eine chronische Form dieser Krankheiten überhaupt existiert – ein Umstand, der die heftige und ungelöste Kontroverse weiter anfacht.

1. Die Position der staatlichen infektiologischen Fachgesellschaften

Die Infectious Diseases Society of America (IDSA) und die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA legen seit jeher die Leitlinien für die Diagnose und Behandlung zahlreicher Krankheiten wie der Lyme-Borreliose, Babesiose oder Bartonellosen fest [4-5-6]. Die meisten anderen Länder weltweit, darunter auch die Schweiz mit der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SGInf) und weiteren medizinischen Institutionen, folgen diesen Richtlinien weitgehend [7-8-9].

Diese medizinischen Fachgesellschaften halten die Behandlung dieser Krankheiten gemäss ihren Leitlinien in der Regel für wirksam und vertreten die Auffassung, dass diese Infektionen nach einer antibiotischen oder antiparasitären Behandlung gemäss ihren Leitlinien nicht fortbestehen können. Sie empfehlen keine längerfristigen Therapien und betrachten diagnostische Tests wie das Zwei-Stufen-Testverfahren (two-tiered testing) mit ELISA + Western Blot als ausreichend zuverlässig zur Diagnose der Lyme-Borreliose [7].

Trotz einer grossen Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen (> 700), die zeigen, dass persistierende Infektionen für chronische Symptome verantwortlich sind und die auf Probleme mit den diagnostischen Tests hinweisen [10], haben diese Gesellschaften ihre Empfehlungen nicht angepasst und scheinen jegliche Änderung strikt abzulehnen. Ebenso ignorieren sie Studien, die eine objektive Besserung der Patienten nach längerer Behandlung mit Antibiotika oder antiparasitären Mitteln zeigen [11-12].

Im Oktober 2023 erkannten die CDC schliesslich an, dass Lyme-Borreliose – ähnlich wie COVID-19 persistierende Symptome verursachen kann [13]. Die CDC halten jedoch an der Aussage fest, dass die Ursache dieser Symptome unbekannt sei, und stärken damit das Konzept eines „Post-Lyme-Syndroms“ [14].

2. Die Sichtweise unabhängiger Fachgesellschaften und spezialisierter Ärzt:innen

Viele spezialisierte Ärzt:innen und Forschende sind überzeugt, dass einige bakterielle und parasitäre Infektionen chronische Krankheiten auslösen können [3]. Sie argumentieren, dass Persistenzmechanismen, d.h. zystische oder ruhende Formen (sogenannte „Persister“) sowie Biofilmbildung, die wahrscheinlichste Ursache chronischer Infektionen darstellen [15-16]. Diese Expert:innen lehnen den Begriff „Post-Lyme-Syndrom“ ab und bevorzugen weitestgehend die Bezeichnung „chronische Borreliose” oder „chronische Lyme-Borreliose“.

Zahlreiche Studien konnten mittlerweile die Persistenz von Borrelia und ihrer Mechanismen bestätigen und diese als wahrscheinliche Ursache chronischer Symptome identifizieren.

Eine Publikation im International Journal of Molecular Sciences vom Dezember 2023 fasst die Situation zur Lyme-Borreliose sehr klar zusammen [17]:

Zu den verschiedenen Strategien, mit denen Spirochäten [Bakterien] das Immunsystem des Wirts umgehen und im Wirt fortbestehen können, gehören die aktive Unterdrückung der Immunabwehr, die Induktion von Immun-Toleranz, Phasen- und Antigenvariation, intrazelluläre Abschirmung, die Veränderung des morphologischen und physiologischen Zustands in unterschiedlichen Umgebungen, Bildung von Biofilmen und persistierenden Formen sowie – besonders wichtig – das Eindringen in immunprivilegierte Bereiche wie das Gehirn. Das Eindringen in solche immunprivilegierten Bereiche ermöglicht es den Spirochäten nicht nur der Immunabwehr des Wirts zu entgehen, sondern kann auch die Wirksamkeit einer antibiotischen Behandlung verringern. (Übersetzung Lyme Schweiz)

 

Angesichts der mangelnden offiziellen Anerkennung dieser Tatsachen in den USA hat die ILADS (International Lyme and Associated Diseases Society), ein Zusammenschluss von Tausenden Ärzt:innen und Lyme-Spezialist:innen, in einer Liste über 700 Studien zusammengetragen, die aufzeigen, dass Borrelien und andere durch Zecken und Insekten übertragene Erreger – etwa Babesia und Bartonella – trotz konventioneller Therapien fortbestehen können [10].

Diese Liste umfasst über 60 Studien aus den 1980er-Jahren, die zeigen, dass bakterielle Persistenz kein neues Phänomen ist. Sie ist auch bei anderen durch Zecken übertragenen Krankheiten gut dokumentiert, darunter der Brucellose oder dem Q-Fieber sowie bei der Syphilis, die ebenfalls durch eine Spirochäte – einer beweglichen, spiralförmigen Bakterienart – verursacht wird. 

Ärzt:innen der ILADS betonen ausserdem die Wichtigkeit von Koinfektionen (Babesia, Bartonella, Anaplasma, Ehrlichia, Rickettsia usw.) bei chronischen Infektionen. Diese Koinfektionen, welche oft mit Lyme-Borreliose verwechselt werden, beeinflussen massgeblich die Vielfalt und Schwere der Symptome sowie die Persistenz der Infektionen [18]. Aufgrund der aktuellen Gesundheitspolitik werden diese Zusammenhänge jedoch weitgehend bestritten, und die öffentliche Forschungsförderung in diesem Bereich stagniert.


 

Ausserdem hält die ILADS das Zwei-Stufen-Testverfahren (two-tiered testing) wegen seiner geringen Sensitivität – die je nach Krankheitsstadium zwischen 50% und 80% liegt – für unzureichend und ungeeignet zur Diagnose der Lyme-Borreliose  [1-3].

Daher unterscheiden sich die Diagnose- und Therapieempfehlungen der ILADS deutlich von denen der IDSA. Die ILADS empfiehlt [3]:

  • sich nicht ausschliesslich auf das Zwei-Stufen-Testverfahren (ELISA + Western Blot) zu verlassen und spezialisierte Labore für vektorübertragene Krankheiten zu nutzen,

  • den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Antibiotika (Polyantibiotikatherapie) und gegebenenfalls antiparasitärer Mittel,

  • eine Behandlungsdauer von mindestens 3 bis 6 Wochen,

  • die Fortsetzung der Therapie bei anhaltenden Symptomen.

Lyme wars / Lyme-Kriege

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